Claudius Kroker

Journalist · Text & Medien

Seit mehreren Jahren schreibe ich Beiträge über PR, Journalismus und Redenschreiben für Zeitungen und Fachmedien der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Außerdem habe ich eine eigene Kolumne für das Fachmagazin "KOM - Magazin für Kommunikation", vormals "pressesprecher". Den jeweils aktuellen Fachartikel und Kolumne-Beitrag finden Sie hier.

Wenn Wege Früchte tragen

In meiner vorigen Kolumne hatte ich über die Grenzen von KI in der kreativen Textarbeit geschrieben. KI ist ein praktisches Tool in vielen verschiedenen Ausformungen und Apps, in denen die so genannte künstliche Intelligenz (die nicht intelligent ist) unterstützen und helfende Aufgaben übernehmen kann – in jedem Fall schneller und vor allem in technischen Branchen womöglich gründlicher als wir Menschen. Jedenfalls hatte ich dabei auch das neue Buch von Roland Kaehlbrandt erwähnt, das "von der Schönheit der deutschen Sprache" handelt. Kaehlbrandt ist Professor an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft (und damit quasi in der Nähe meines Büros) und entwirft auf den rund 300 Seiten ein Plädoyer für die deutsche Sprache; manchmal wissenschaftlich fundiert, manchmal aus seiner eigenen Freude über die Sprache heraus.

Sprache ist schön. Und ohne Sprache hätten wir es schwer. Wir nutzen Sprache, um Botschaften und Aussagen zu vermitteln und ein Zusammenleben möglich zu machen. Wir nutzen Sprache, um zu überzeugen, um zu diskutieren, um abzuwägen. Wir nutzen Sprache für Präzision und Genauigkeit, zur Information und Nutzenvermittlung (zum Beispiel in guten Pressemitteilungen), um unserer Wut Ausdruck zu geben, dem Unverständnis (dann muss Sprache besonders verständlich sein) und manchmal auch für Trost.

Manchmal ist Sprache unfreiwillig komisch

Manchmal kann Sprache kann aber auch unfreiwillig komisch wirken. Vor allem dann, wenn sprachliche Ergüsse in tiefster Ernsthaftigkeit präsentiert werden. Legendär zum Beispiel das 1999 in Mecklenburg-Vorpommern verabschiedete Gesetz zur Übertragung der Aufgaben für die Überwachung der Rinderkennzeichnung und Rindfleischetikettierung – kurz (!) "Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz", seinerzeit offiziell das längste zusammengesetzte und öffentlich genutzte Hauptwort. Man könnte es natürlich noch beliebig erweitern um weitere Wortfragmente wie zum Beispiel "-durchführungsverordnung" – in der Gesetzgebung immer mal gern genommen. Der Unterschied zu beliebig langen und von bewusster Übertreibung lebenden Kofferwörtern ist jedoch, dass es dieses Gesetz wirklich gegeben hat. Voller Ernst. Ebenso wie die 2007 außer Dienst gestellte "Grundstücksverkehrsgenehmigungszuständigkeitsübertragungsverordnung". Herrlich!

Ein anderes Beispiel – weniger lang, aber dafür auch von unfreiwilliger Komik – liefert der Amtsschimmel aus der Schulaufsicht. Ein Schulleiter hatte für die Lehrerinnen und Lehrer an einer Förderschule Hörschutz beantragt. Einfach weil die Kinder in diesem Fall extrem laut waren und mehrere Lehrkräfte ein Knalltrauma oder einen Hörsturz erlitten hatten. Der Schimmel nun berief sich auf das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG – auch schön) und das dort vermerkte so genannte Minimierungsgebot: Gefahren (= hier Lautstärke durch die Kids) müssen demnach "minimiert oder vermieden" und "an der Quelle bekämpft" werden. Im Klartext: Bevor es eine Hilfsmaßnahme von außen gibt, muss erst "die Lärmquelle beseitigt werden". Upps…

Verunglückte Sprachbilder in Reden

Ähnliche sprachliche Unfälle kennen wir aus Reden in Politik und Wirtschaft. Eine Kollegin von mir zitierte aus einem Aktionärsbrief zum Geschäftsbericht eines DAX-notierten Konzerns. Darin gab sich der Vorstandsvorsitzende zuversichtlich, dass „unser eingeschlagener Weg schon sehr bald Früchte tragen wird“. Wie bitte? Wege können zu einem Ziel führen. Wege wachsen manchmal auch in die Länge oder Breite (einfach wenn weiter daran gebaut wird). Wege und Wurzeln klingt zwar sprachlich noch irgendwie nett, geht aber inhaltlich schon nicht mehr. Wege und Früchte tragen? Geht gar nicht.

Was war passiert? Der Redner hatte während seines Vortrags (oder der Redenschreiber beim Schreiben, was wir alle mal nicht hoffen wollen) zwei Bilder im Kopf, die dann vermengt wurden. Er kam sozusagen vom beschriebenen Weg ab und landete offenbar bei einigen den Weg säumenden Obstbäumen und ihren getragenen Früchten. Vielleicht war er gedanklich unterwegs durchs Alte Land bei Hamburg oder entlang des Bodensees… erklärtermaßen die größten Obstanbaugebiete in Deutschland.

Ziehen und schieben gleichzeitig

Auch schön: Einer meiner Kunden trug mir stolz seine selbst verfasste Rede auf zwei seiner Mitarbeiter vor, die er in den wohlverdienten Ruhestand entlassen wollte: "Ihr zwei wart die Zugpferde, die den Laden vorangetrieben haben". – Ähm… Leider auch eher eine unterhaltsame Stilblüte, die wie im Fall des DAX-Konzerns sich der sprachlichen Bebilderung des Sachverhalts von verschiedenen Seiten näherte. In diesem Fall von vorne ("ziehen") und von hinten ("vorantreiben"). Ziehen und drücken gleichzeitig, das funktioniert schon bei Türen nicht. In der Rede sorgt es dann allenfalls für Fragezeichen in den Köpfen des Auditoriums.

Dem Kunden – das muss erwähnt werden – ist der inhaltliche Fauxpas selbst aufgefallen in dem Moment, da er mir seine Formulierung vorlas. Was wiederum zeigt: Lautes Vorlesen eines in tiefster Überzeugung geschriebenen Textes oder einer Formulierung ist ein wichtiges Kontrollinstrument, um die Veröffentlichung sprachlicher Unfälle zu vermeiden.

Wenn der Schimmel aus dem Schulamt (oder war's im Ministerium? Ich weiß es nicht mehr) die Formulierung "Lärmquelle beseitigen" mit den lärmenden Schülern gleichgesetzt, laut vorgelesen und sacken lassen hätte, wäre ihm die Unmöglichkeit und unfreiwillige Komik seiner Formulierung ganz sicher aufgefallen.

Sprache ist schön. Man kann wahnsinnig viel mit ihr machen. Mehr zumindest als in zu kurz gesprungenen skandalisierenden Postings oder voreiligen Kommentaren. Nutzen wir unsere Sprache, arbeiten wir damit und erfreuen uns an ihren Möglichkeiten und den Bildern, die sich mit ihr gestalten lassen. Sprache ist Ästhetik und Kreativität. Und auch wenn ich oben geschrieben habe, dass KI nicht kreativ ist (sondern im wahrsten Wortsinn berechnend), dann kann sie auch hier durchaus als Tool genutzt werden. Für mehr Abwechslung, mehr Kunst und mehr Spaß am Gestalten.